
Das Buch


Zweites Kapitel als Leseprobe
Der Unfall Die Straßen sind laut, Neonlichter flackern in den Pfützen, während Lyra mit gesenktem Blick zur Arbeit geht. Kopfhörer auf den Ohren, doch die Musik kann die Sorgen nicht vertreiben: Wie lange halte ich das noch durch? Was, wenn ich morgen die Miete nicht zahlen kann? Im Labor angekommen, begrüßt sie niemand. Die Kollegen sind in ihre Arbeit vertieft, der Chef wirft ihr nur einen missmutigen Blick zu. Lyra zieht ihren Kittel an und beginnt, Daten zu überprüfen – immer mit dem Gefühl, dass ihr Leben an ihr vorbeizieht. Während Lyra sich auf die Zahlenreihen konzentriert, wird es plötzlich laut im Flur. Schritte, Stimmen, das Quietschen der Tür. Jemand ruft: „Hier sind zwei Jungs am Zaun! Kann das jemand notieren?“ Lyra hebt kurz den Kopf, nimmt es undeutlich wahr, ehe alles wieder im Hintergrund verschwimmt. Für sie bleibt es ein fernes Geräusch, kaum real. Müde zwingt sie sich zurück an den Bildschirm, doch die Zahlen verschwimmen, Fehler schleichen sich ein und der Druck wächst. Sie zwingt sich wieder zum Bildschirm, ihre Finger tippen müde, Zahlen verschwimmen vor den Augen. Ihr Kopf dröhnt, die Gedanken überschlagen sich. Immer wieder muss sie blinzeln, damit die Daten auf der Anzeige klar bleiben, und doch rutschen Fehler hinein. Der Druck wächst, der Chef mustert sie zunehmend kritisch. Als der Nachmittag langsam verblasst, reißt ein lauter Knall die sterile Stille entzwei. Im hinteren Bereich des Labors explodiert ein Transformator – Funken sprühen, der Boden bebte. Lyra spürt einen stechenden Schmerz, als ein greller Blitz sie trifft – dann wird alles schwarz. Sie erwacht im Krankenhaus. Die Stimmen der Ärzte sind dumpf, als kämen sie von weit her. „Sie hatte Glück, dass sie überlebt hat“, hört sie jemanden sagen. Doch Lyra fühlt sich anders. Aus dem Fenster sieht sie einen schimmernden Schleier über der Stadt, als würde eine durchscheinende Welt über der Realität liegen. Sie blinzelt, und alles ist wieder normal. Zu Hause angekommen, plagen sie seltsame Träume. Sie sieht Orte, die sie nie besucht hat, spürt fremde Energien, wenn sie durch die Straßen geht. Die Ärzte sprechen von „psychischen Nachwirkungen“, verschreiben Medikamente und raten zu Ruhe. Doch Lyra fragt sich, ob sie den Verstand verliert – oder ob tatsächlich mehr hinter den Schleiern steckt, die sie immer häufiger sieht. Im Labor sitzt Lyra am nächsten Tag, der Kopf schwer von Kopfschmerzen. Die Zahlen verschwimmen, ihre Finger zittern leicht. Sie merkt, wie sie langsamer arbeitet, Fehler macht, und der Druck wächst immer weiter, als der Chef sie mit kritischem Blick beobachtet. Plötzlich, als sie blinzelt, verändert sich alles: Die Laborgeräte sind von leuchtenden Linien durchzogen, Energiefelder fließen wie Nebel durch den Raum. Geräusche klingen verzerrt, als würde jemand durch Wasser sprechen. Lyra fühlt sich schwerelos und orientierungslos. Ein Kollege bleibt vor ihrem Schreibtisch stehen und fragt leise: „Alles okay bei dir, Lyra? Du wirkst heute so abwesend.“ Sie lächelt gequält, winkt ab und sagt, sie habe schlecht geschlafen. Niemandem will sie ihre Zweifel anvertrauen. In dieser anderen Welt tauchen rätselhafte Zeichen auf: Zahlenfolgen und fremdartige Symbole schweben in der Luft. Lyra sieht Schatten von Menschen, manche wie Erinnerungen, andere völlig fremd. Ein Gerät blinkt auf. Die Wahrnehmungen wechseln. Sie spielt die „normale“ Angestellte, doch innerlich ist sie verunsichert. Immer wieder verschwimmen Realität und Traum: Das Licht flackert, fremde Stimmen hallen, kurz sieht sie einen Schleier, den sonst niemand bemerkt. Sie begegnet seltsamen Wesen – wie Datengeistern –, die sie misstrauisch beobachten. Einer sagt: „Nicht jeder darf überall hin.“ Lyra spürt, dass manche Bereiche wie von Barrieren abgesperrt sind. Der Chef ruft sie ins Büro. Er spricht von Leistungsabfall und Fehlern. „Reißen Sie sich zusammen, Miss Quinn, oder wir müssen Konsequenzen ziehen.“ Lyra nickt, während in ihrem Kopf noch immer die leuchtenden Linien nachglühen. Lyra merkt: Ihre Fähigkeiten sind begrenzt. Nach einer Weile wird sie erschöpft, muss in die reale Welt zurück. Manche Objekte scheinen wie Portale oder leuchtende Datenknoten. Verunsichert beginnt Lyra, ein Tagebuch zu führen. Sie schreibt jede seltsame Wahrnehmung auf, notiert Flackern, Fehler, Muster im Licht. Nach und nach erkennt Lyra, dass sie in dieser Zwischenwelt manchmal die reale Welt beeinflussen kann. Sie sieht „Echo-Spuren“ von Menschen, deren Emotionen als Farben erscheinen. Abends sitzt Lyra allein im Labor. Die Neonröhren summen, der Bildschirm flackert. Sie reibt sich die Schläfen, dann setzt schlagartig wieder dieser stechende Kopfschmerz ein. Plötzlich wird das Licht im Raum kälter, Schatten an den Wänden scheinen sich zu bewegen. Im Augenwinkel sieht Lyra einen leuchtenden Spalt – ein feiner Riss, der zu einem flirrenden Portal wird. Die Konturen pulsierten in irisierenden Farben, als würde sich die Realität selbst aufreißen. Ein elektrisch verzerrtes Flüstern, kurz tanzen Zahlen und Symbole auf dem Monitor – dieselben wie in ihren Träumen. Sie will fliehen, ihre Beine fühlen sich schwer an. Für einen Herzschlag sieht sie ihre eigene Hand doppelt: einmal gewohnt, einmal transparent, von Lichtlinien durchzogen. Ein Schatten huscht durch das Labor – nicht menschlich, nicht wirklich da, aber Lyra spürt seine Präsenz. Ein tiefes Summen, wie aus der anderen Welt, hallt plötzlich in die reale: es vibriert bis in die Knochen. Lyra stolpert zurück, schließt die Augen, beruhigt sich. Als sie sie wieder öffnet, sieht sie für einen Moment beide Welten übereinandergelegt – das reale Labor und die fremde Schleierwelt verschmelzend. Dann ist alles wieder normal. Das Licht summt, die Zahlen sind geordnet, der Schatten verschwunden. Aber Lyra weiß jetzt: Die Grenze zwischen den Welten ist durchlässig geworden – und sie steht genau dazwischen.